Blühende Landschaften des Dennoch

Gedanken über die aussichtslose Lage an sich am Morgen des 6.3.2024 / 5784

ein Text von Uli Fischer

11.3.2024

Wenn eine Lage aussichtslos erscheint – was tun? Sicher überprüft man zunächst, ob die so aussichtslos erscheinende Lebenssituation wirklich so aussichtslos ist, wie man meint. Wie sie, oder das Denken über sie, suggeriert. Man prüft die Dinge auf ihren Gehalt, man wechselt die Perspektive. Hat man etwas übersehen? Man fragt andere, man holt sich Meinungen ein. Vielleicht gibt es einen Ratschlag oder einen Wink des Schicksals an der nächsten Ecke.

Wenn die Lage wirklich aussichtslos ist, dann bleibt wohl nur, im ersten Schritt, das anzuerkennen. Man kann dann Betrachtungen über die Gerechtigkeit der Situation anstellen, karmische Fäden aufspüren, übersehene Vorwarnungen, in den Wind geschlagene Hinweise. Man versucht, sich mit der Situation dennoch zu arrangieren: So ist das jetzt. Und das Leben geht doch weiter. Wenn man so will: zum Glück und unerbittlich zugleich. Tick tack tick tack. Die unhörbare Lebensuhr bringt sich in Erinnerung, wenn man die Zeit aufhalten möchte.

Es gibt sicher für jeden Menschen solche Augenblicke im Leben. Aussichtslosigkeit bezieht sich ja nicht nur auf „politische“ Verhältnisse, die gar keine mehr im Wortsinne sind, sondern eher post-politische. Falls das Wort „politisch“ überhaupt je einen tragenden, nicht nur ausbügelnden, schöpferischen Sinn gehabt haben sollte.

Aussichtslosigkeit ist die Situation, in der alle bisherigen Möglichkeiten in sich zusammenbrechen, ihre Nichtigkeit darbieten. Wir sind nicht mehr, wir waren einmal. Auf uns kannst Du nicht mehr rechnen. Adieu. Was bleibt dann? Das auf-sich-Zurückgeworfensein. Das Allein-Sein. Das Ich umstellt von den Mauern der unabweisbaren, stählernen Realitäten. Kann es sich ertragen?

Im ersten Moment ist diese Art von Gefängnis unlebbar. Dann sucht man nach Auswegen. Dann beginnt man sich zu arrangieren. Dann ist man einverstanden. So ist das jetzt. Es gibt keine Aussicht. Ich akzeptiere das. Mein Ich ist jetzt meine ganze Aussicht. Meine Innenwelt, meine Erinnerungen, meine Gegenwart, meine kleinen Hoffnungen, eine verstellte Zukunft betreffend.

Wie lange hält man so aus, ohne im Aussichtswillen gebrochen zu werden? Kann man den Aussichtswillen so steuern, dass er in aussichtslosen Situationen durchhält für ein die Aussicht wiedergewinnendes Morgen?

Ist diese Aussichtslosigkeit nur eine ungemein raffinierte Illusion? Eine Prüfung gar für Geduld und Dennoch-Willen? Ein Herauskitzeln der eigentlich für unmöglich gehaltenen Möglichkeiten?

Es mag wirklich aussichtslose Lagen geben. Das Leben aber kennt keine dauerhaften Aussichtslosigkeiten. Eher fordert es dazu auf, die Aussichtslosigkeit zum Anlass zu nehmen, alles, wirklich alles auf den Prüfstand zu stellen. Das Leben fordert uns auf, allen restlichen Unernst ihm gegenüber fallen zu lassen.

Nirgendwohin können wir noch ausweichen. Überall nur unser Ich umstellt von den Gefängnismauern. Unser Überall-Ich ist die Gefängnismauer. Haben wir sie selbst gebaut? Wenn nicht, dann wohl ihren Bau zugelassen?

Müssen wir eine völlig neue Haltung zu uns selbst einnehmen, um diese Aussichtslosigkeit zu überwinden? Wahrscheinlich ist dies die einzige Möglichkeit: Selbstüberwindung. Eine Leistung der Übersteigung bisheriger Grenzen, eine Transformation der Einstellungen zum Leben. Ein Ja einübend, dass es mit vielen Aussichtslosigkeiten aufnehmen kann – und will.

Gedanken zur Verwandlung von gegenwärtigen Aussichtslosigkeiten

  • Inwiefern kann man den Niedergang der deutschen Wirtschaft, meist als „Deindustrialisierung“ bezeichnet, als Chance begreifen, denn er ist ganz offenkundig nicht einfach reversibel?

Die industrielle Abrüstung mit all ihren Implikationen ist ohnehin ein Muss für eine tiefenökologisch gesunde und Sinn-orientierte Wirtschaftsweise. Der Mega-Industrialismus wird aufgelöst zugunsten einer wie Phönix aus der Asche steigenden regional verankerten Fabrikation für den wirklichen Bedarf der Bevölkerungen, wenn parallel an der Stelle bisheriger Geldsysteme Austauschverfahren zur Geltung kommen.

  • Inwiefern kann die zeitweilige Zerstörung der Handelsbeziehungen mit dem Osten, mit Russland, möglicherweise auch mit China, mittelfristig als Chance begriffen werden?

Der Abbau des Mega-Industrialismus ist mit einem Weniger an Rohstoff- und Energieträgerbedarf verbunden. Der Fernhandel wird auf ein zuträgliches Maß zurückgehen, während der Wissens- und Erkenntnisaustausch wie der kulturelle Austausch auf der Basis von Respekt und Gleichberechtigung zum wirklichen Erblühen kommen kann – jenseits finanzpolitischer Dominanz und geopolitischer Gewalt. Eine Re-Konzentration aller Völker ist das A und O einer Neugestaltung der internationalen Beziehungen.

  • Inwiefern kann der offensichtliche Niedergang des demokratischen Systems als Chance begriffen werden?

Über eine Neugestaltung der Sinn-orientierten Verwaltung und Lenkung des Gemeinwesens muss vertieft nachgedacht werden. Eine Kompetenz- und Sinn-orientierte Steuerung der Geschicke aller ist wahrscheinlich nur durch eine Art „demokratischer Regentschaft“ erfüllbar, die sich um die schöpferische Atmosphäre im Land sorgt, diese pflegt und mit Impulsen belebt. Unter Verzicht auf das Eingreifen in die und Beeinflussen der konkreten Lebensvollzüge. Ein spirituell verankertes und gelebtes Subsidiaritätsprinzip bedarf in erster Linie der Organisation und Verantwortlichkeit vor Ort. Intakte soziale Sphären sind hier Voraussetzung. Darauf bauen alle überregionalen Bezüge auf.

  • Inwiefern kann der Niedergang der Naturwissenschaft und bspw. der Hochschullandschaft als Chance begriffen werden?

Der bisher dominierende Wissens- und Erkenntniszugang hat seine Unzulänglichkeit unter Beweis gestellt. Alle oben genannten Auswege respektive Chancen werden nur dann möglich, wenn unser grundsätzlicher Denk- und Lebensansatz die bisher dominierende reduktionistische Welt- und Selbstbetrachtung überwindet. Eine echte Kosmosophie liegt in ihren entscheidenden Anfängen und Weichenstellungen besonders in den Leistungen der schöpferischen Philosophie grundsätzlich vor.

  • Inwiefern liegt Wahrheit und Chance in der Spaltung der Gesellschaft?

Einerseits wird uns vor Augen geführt, wie wichtig die grundsätzlich harmonische Einheit des Volkes für ein friedliches Zusammenleben ist; andererseits erleben wir die unerbittliche Härte der spaltenden Kräfte mit ihrem ganzen Raffinement. Illusionen über Vermittlungen zwischen den Lagern brechen in sich zusammen; Ausnahmen bestätigen die Regel, und das beständige Bemühen um Verständigung oder friedliche Nicht-Verständigung ist selbstverständlich. Dennoch scheint ein Sondierungsvorgang seinen Lauf zu nehmen, der langfristig zu Klarheit und Frieden in Beziehungen führen muss. Wenn wir ihn auch noch nicht verstehen.

Wir können Aussichtslosigkeit in Teilen transformieren in schöpferische Einsichten, weil sie oft genug Ausdruck systemischer Unauflösbarkeit sind. Wir lernen sie zu übersteigen – oder stehenzulassen und mittels Geduld und Unbeirrbarkeit zu behandeln.