Gedanken zum Essay-Sammelband „KOSMOS“ von Jochen Kirchhoff
Der endgültige Text dieser ankündigenden Rezension erschien bei rubikon.news. am 24.8.2022
https://www.rubikon.news/artikel/es-werde-licht
von Uli Fischer
Die beständige Zuspitzung der Weltbewusstseinskrise, und nur als solche kann man die Gegenwart in ihrer Essenz auffassen, lässt die Frage nach einem tieferen Warum und Woher nicht zur Ruhe kommen. Politische, soziale, wirtschaftliche oder kulturelle Analysen allein reichen nicht aus, um durchdringende, tragfähige, auch Handlungsrichtungen eröffnende Antworten zu finden. Etwas läuft offenbar völlig falsch und nun wie endgültig aus dem Ruder in der bisherigen Menschheitsentwicklung, so sehr auch der Eindruck erweckt wird, man hätte es „wissenschaftlich“ und „technisch“, gar „politisch“ unter Kontrolle und wandelte auf dem Fortschrittspfad. Die mehr oder minder offen transhumanistische Perspektive aller Bestrebungen der Machteliten und ihrer Helfershelfer im politischen und wirtschaftlichen Raum kennzeichnet den ungeheuerlichen Schritt in die völlige Abkehr vom genuin Menschlichen und seinen höheren Möglichkeiten und Bewusstseinszielen – wenn diese auch nicht im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert oder gar zielgerichtet kommuniziert und angestrebt werden: Sie waren und sind doch der unbewusst mitschwingende Hintergrund aller emanzipatorischen Bemühungen durch die Zeiten hindurch. –
Jochen Kirchhoff ist seit über einem halben Jahrhundert mit der Frage nach den Ursachen der Bewusstseinskrise der Menschheit beschäftigt, die ihn wie andere feinfühlige, seismografisch befähigte Autoren (erinnert sei stellvertretend an Ernst Jünger und an Erwin Chargaff) begleitet und angetrieben hat in seinem intensiven Wirken als Philosoph ganz eigener, unverwechselbarer Couleur.
Auf dem Wege des naturphilosophischen Forschens und Denkens seit den späten 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bis heute sind eine Vielzahl an Essays entstanden und erschienen, die quer und ergänzend zu seiner naturphilosophischen Tetralogie (vollständig erschienen im Drachenverlag als eine Art „4 plus 1-Kompendium“ grundlegender philosophischer, metaphysischer und naturwissenschaftlicher Erörterungen) und den beeindruckenden Monografien zu Giordano Bruno, Schelling und Kopernikus, Schlaglichter werfen auf fundamentale Themen wie die des Bewusstseins als Urphänomen, der integralen Bewusstwerdung des Menschen, der Naturwissenschaftskritik und der Bildung von tragfähigen Alternativen in Sachen Kosmologie und Anthropologie.
Eingang in den dankenswerter Weise von OVALmedia herausgegebenen Essay-Band mit dem Titel „KOSMOS“ fanden Texte der Jahre 1993 bis 2019.
Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass es kaum einen anderen, bekannten Denker der Jetztzeit im deutschsprachigen Raum – vielleicht und vermutlich auch weltweit – gibt, der in derartiger Breite und Intensität das Thema der Bewusstseinskrise des Menschen und der Menschheit bearbeitet hat – mit ganz und gar erstaunlichen, erhellenden Erkenntnissen, Einsichten – und Fragestellungen, die tief in die auch von den Naturwissenschaften mitgebauten Fundamente der modernen Gesellschaften und die Tiefenschichten des Menschseins überhaupt hinabreichen, – letztlich um dem Einzelnen eine Re-Orientierung entlang des Jochen Kirchhoff geprägten Terminus der „Kosmischen Verantwortung“, der einer grundsätzlich anderen Haltung des Menschen zum Sein im Kosmos Rechnung trägt und Ausdruck verleiht, zu ermöglichen. Im Essay „Mein Denken“, einem Text der Grundlinien Kirchhoff’schen Denkens vorstellt und interpretiert, heißt es:
„Das Mensch-Kosmos-Verhältnis in seiner Grundkonstellation: Sind wir sinnlos Heraufgewirbelte aus der kosmischen Nacht, oder haben wir die Würde einer sinnvollen und gemeinten Existenzform? Wie sind wir, kosmisch gesehen, angelegt? Wenn ich »kosmisch« sage, meine ich primär geistig-kosmisch, ohne nun das Physisch-Sinnliche zu negieren. Ich setze die Prämisse, dass der Mensch die Würde einer geistig-kosmischen Existenz hat, auch wenn er diese missachtet oder für pure Fantasie hält. Alles große Schöpfertum des Menschen hat hier seinen Ursprung.“
Der Essay-Band, der mittelfristig auch in englischer Sprache und in anderen Sprachen herauskommen soll und somit die Wahrnehmung Jochen Kirchhoffs als wichtigen Impulsgeber auch international ermöglichen und nachholen wird, vereint sowohl Texte, die sich mit der Qualität und Wahrnehmungsvertiefung der menschlichen Subjektivität, ihrem Eingebundensein in das große Ganze als auch mit den kosmologischen Fragen der Herkunft und wirklichen Beschaffenheit von Gestirn(en) und Mensch befassen. Er ist in drei Textgruppen untergliedert:
I Der lebendige Kosmos
II Der Mensch – ein kosmischer Anthropos
III Personen
In den Texten werden Schwachstellen der herrschenden Physik als Leitwissenschaft berührt, die grundlegenden Fragen des Raumes und der Zeit noch einmal neu (in zugleich uralter Weise) gestellt. Im Essay „Impulse für eine lebendige Zeitvorstellung“, der die Bewusstseinsdimension mitberührt, heißt es:
„Wissenschaft, als die systematisierte Suche nach formalen Zusammenhängen, nach der abstrakten Dekonstruktion und Rekonstruktion der Welt im üblichen Verständnis, ist bislang nicht in der Lage gewesen, das Mysterium der Zeit verständlich zu machen. Die Zeit entschlüpft dieser Art Zugriff. Von außen lässt sich die »Festung der Zeit« nicht einnehmen: Alle Rammböcke des analytischen Geistes der reduktionistischen Wissenschaft zerschellen an der Zeit wie an einer Stahlwand. (…)“
„Die Behauptung, die Weltkoordinate Zeit sei nur „im Kopf “, widerlegt sich selbst: Der Kopf ist im Raum und in der Zeit. (…)“
Der Kosmos als Ganzes unterliegt keinem Werdeprozess, der alle Einzelheiten an eine absolute Zeitskala bindet, wie aus der Urknallfiktion abzuleiten wäre. Aber alle kosmischen »Systeme«“ und Gestalten, alle großen Organismen (Gestirne) sowie die Lebewesen auf den jeweiligen Kugeloberflächen, sofern diese als Leben-ermöglichend anzusprechen sind, sind eigenen Zeitskalen und Zeitrhythmen unterworfen. Und auch wenn sich dies nicht mit letzter Sicherheit verifizieren lässt, kann doch geschlossen werden, dass diese Skalen und Rhythmen »zielorientiert“ sind, also teleologisch einem Punkt zugeordnet, der einem großen Attraktor gleicht.“
Der grundsätzlichen Fehlentwicklung der mathematisch orientierten Naturwissenschaften mit all ihren Konsequenzen im Versuch der technischen Weltbewältigung werden kraftvolle Gedanken und Fingerzeige für eine metaphysisch begründete einheitliche Feldvorstellung entgegengesetzt, die u. a. aus der Vereinigung der Ur-Phänomene Licht und Gravitation mit der göttlichen Urquelle des Lebens ihre überragende Durchschlagskraft echter Welt- und Selbsterkenntnis bezieht. Zitat aus dem Essay „Kernkraft als Herausforderung“:
„Im wuchtigen Gegeneinanderwirken der Raumenergiefelder der Gestirne kommt es immer wieder zu Aufsplitterungen in Teilchen, während bei einem etwas geringeren Intensitätsgrad die im Urzustand wellenlosen Raum- oder Radialenergien zu einer transversalen Wellenbewegung angeregt werden, die sich u.a. als Licht manifestiert. So entsteht, fast zwangsläufig, eine Übergangs- oder Überlappungszone von Nicht-mehr-Strahlung und Noch-nicht-Materie, die dazu führt, dass Wellen fast Teilchen und Teilchen fast Wellen sind und dass das Eine fluktuierend und fließend in das Andere übergeht.“
Der fundamentale Gedanke des all-lebendigen, geistig-seelischen wie materiell erscheinenden Kosmos tritt wieder in seine volle Würde und Kraft und erfährt über die Aufnahme und Weiterentwicklung der Impulse besonders von Giordano Bruno, Friedrich W. J. Schelling und Helmut Krause eine Renaissance mit kaum absehbaren Folgen für den Blick auf Welt und Selbst und die Bewältigung der Herausforderungen des so oder so notwendigen Umbaus des immer einseitiger materiell-technischen Daseins der Menschheit auf der Erde.
Wenn uns der anvisierte und sich im Versuch seiner Realisierung befindliche Transhumanismus entmenschlichen und auch ent-geistigen soll – und das scheint ja offenkundig das Ziel zu sein – , dann kann dieser Weg der weiteren Verfestigung einer grundsätzlich akosmischen Lebenseinstellung nur durch kraftvolle, auf das Wesentliche und Lebendige hinweisende und hinwirkende Philosophie, wie sie im Essay-Band vorgetragen wird, Abhilfe schaffen und den Menschen als Dreh- und Angelpunkt des „kosmischen Dramas“ verteidigen.
Die doppelte Stoßrichtung der Essays, einmal zum Wesen des Menschen, einmal zum Wesen des äußeren (wie inneren) Kosmos hin, erweist sich als ein großes, unumgängliches Anliegen, wenn eine neue Bewusstseinsstufe im Prozess der Entwicklung von Gestirn und Menschheit in Reichweite kommen soll. Zitat aus dem Essay „Kosmischer Anthropos und Erlösung der Natur“:
„Was für ein Wesen ist der Mensch? Woher kommt er, woraufhin ist er angelegt? Dass er eine Bestie sein kann, wissen wir. Als organisches Wesen ist er nicht »automatisch« ein höheres, kosmisches, dem Göttlichen zugeordnetes Wesen. Dies zu werden, muss er eine Bewusstseinsanstrengung eigener Art aufbringen. Das Hohe, auf das die Menschwerdung zielt, muss in einem langen Weg über viele Inkarnationen errungen und dann auch behauptet werden.“
Dass dies allen Ereignissen der Gegenwart zum Trotz, die noch in eine gänzlich andere Richtung zu weisen scheinen, immer noch möglich ist, dafür stehen Autor und Essays in bewunderungswürdiger Klarheit und philosophischer Konsequenz mit einmaliger geistiger Kraft und wirksamem Transformationsvermögen, auch und gerade durch eine schöpferische Sprache, die sich der Auseinandersetzung mit dem naturwissenschaftlichen Vokabularium (und dem dahinterstehenden Geist) stellt und diese grundsätzlich bewältigt.
Wir brauchen weiterhin einen geistigen Aufbruch von bisher nicht vorstellbarer Intensität, wenn die unbewusst oder halbbewusst-bewusst anvisierte Zerstörung von Mensch und Erde nicht nur aufgehalten, sondern auch von einer Aufwärtsbewegung des individuellen und letztlich auch des kollektiven Bewusstseins abgelöst werden soll.
Jochen Kirchhoff liefert für diesen Prozess mit seinem Gesamtwerk – und eben auch mit diesen in dieser Zusammenstellung erstmalig erscheinenden Texten – Angebote echten naturphilosophischen Denkens, Inspiration für den je eigenen Erkenntnisweg – und Orientierung. Nochmals ein Zitat aus dem Essay „Kosmischer Anthropos und Erlösung der Natur“:
„Am Ich und im Ich entscheidet sich das Drama der tieferen Menschwerdung. Um es formelhaft zu sagen: Das Gattungswesen, das mit der Inkarnation gegeben ist, muss sich zum kosmischen Ich-Wesen emporentwickeln, zum eigentlichen und immer gemeinten Anthropos. Menschsein ist keine Gegebenheit, sondern eine Bewusstseinsaufgabe.Vielleicht lässt sich für »Aufgabe« auch »Auftrag« sagen.“
Diese Orientierung auf ein geistig-kosmisches Selbstverständnis des Menschen ist gerade in einer kulturellen Endphase wie den heutigen Tagen, die von der erdrückenden Dominanz technisch-naturwissenschaftlichen Denkens und aus ihr erfolgender Handlungsableitung – Stichwort „Great Reset“, Transhumanismus, „Green New Deal“ – gekennzeichnet ist, im Grunde die einzig sinnvolle Möglichkeit, die gravierenden Fehlentwicklungen zu stoppen und einen Ausweg zu finden, der einen wirklichkeitsnäheren Neuanfang für die weitere Menschheitsentwicklung einleitet.
Wünschen wir dieser wunderbaren Zusammenstellung von Texten, die auch eine Art Querschnitt Kirchhoff’schen Denkens darstellt, dankbare und interessierte Aufnahme – und faire, produktive Diskussionen, die in vertiefte philosophische Lebenspraxis hineinführen.
In einer Selbstaussage bezeichnete Jochen Kirchhoff Friedrich Nietzsche mit seinem Werk einmal als einen treuen, wenn auch schwierigen Freund seines Weges. Möge Jochen Kirchhoff über diese Publikation der KOSMOS-Essays weiterhin ein Freund des Weges vieler Menschen werden – in der ihm eigenen stets aufmunternden, inspirierenden und konsequenten Art und Weise.