Friedensfeier von F. Hölderlin

Wenn man das Videogespräch ‚Endzeit‘, das den Versuch darstellt, den naturphilosphischen Zusammenhang des Themas darzustellen und die verschiedenen Auffassungen in diesem Bereich einzuordnen, dann kann man  – als eine Art Pendant –  die „Friedensfeier“ von Friedrich Hölderlin lesen, die offenbar die Phase der Menschheitsentwicklung beschreibt, die nach durchschrittener ‚Endzeit‘ möglich ist, von Menschen aller Kulturen ersehnt oder auch ‚gesehen‘ wurde (und wird).

Friedensfeier

Zum Grundverständnis dieses Gedichtes ist es meinem Empfinden nach von Bedeutung, den Text vor allem als eine Darstellung von Gedanken und Bildern zu betrachten, aufzunehmen und wirken zu lassen, die in einer bestimmten Sphäre angesiedelt sind. Man könnte sie als zukünftig-gegenwärtig charakterisieren und, das ist sicher für jeden Leser wahrnehmbar, als herausragend aus dem Wahrnehmungsbereich, den wir im Alltag (bisher) gewohnt sind. Man hat fast das Gefühl, dass der Sprechende aus mehreren Sphären gleichzeitig spricht als einer, der nicht mehr völlig unkundig sein kann und der sich des ‚Überzeitlichen‘ sehr wohl bewusst ist.

Jeglicher Versuch, hier vollständige Deutung in einem rationalen Sinne und bezogen auf ‚gewohnte Umstände‘ zu erreichen, muss scheitern. Auch meine kurze Darstellung hier sollte nur als eine Art Brücke oder Versicherungsmöglichkeit eigener Wahrnehmung genommen werden, wo dies angezeigt ist und dazu anregen, diesen Text intensiv und unvoreingenommen wahrzunehmen.Nicht mehr und nicht weniger. Eine vollständige Interpretation ist nicht möglich und auch unsinnig – es kommt darauf an, was der Einzelne beim Lesen empfindet, wie er es mitschöpferisch gestaltet, sein Lesen und Verstehen.  Echte Kunst ist unauslotbar. Wenn sie sich auf metaphysische Bereiche bezieht, dann umso mehr. Wenn es dann noch um das Thema geht, dass den Menschen durch die Verkörperungen hindurch durchdringt, antreibt, irren und verzweifeln, hoffen und durchhalten lässt…

Die wichtigste ‚Funktion‘ des Textes ist es meinem Empfinden nach im Leser und/oder Hörer die Atmosphäre aufsteigen oder erahnbar werden zu lassen, die mit einer grundsätzlichen Änderung der irdischen Verhältnisse und deren Feier – einer Art Besiegelung – verbunden ist oder sein könnte. Dabei wird der Mensch als Ganzes erfasst, das Herz seines Daseins und Werdens angesprochen: Erinnere dich, Mensch, das ersehnst du wie die vielen. Erinnerst du dich ? Wird es sein ? –

Man kann den Text also als eine Art Anamnesis ansehen, eine Tiefenerinnerung an das Mögliche, Geplante, schon oft Geschehene und auf Erden immer noch Angestrebte und Gewollte. (Vgl. Jochen Kirchhoff „Was die Erde will“ und „Das Kosmische Band“)

 

Friedrich Hölderlin

„Friedensfeier

Ich bitte, dieses Blatt nur gutmütig zu lesen. So wird es sicher nicht unfaßlich, noch weniger anstößig sein. Sollten aber dennoch einige solche Sprache zu wenig konventionell finden, so muß ich ihnen gestehen: ich kann nicht anders. An einem schönen Tage läßt sich ja fast jede Sangart hören, und die Natur, wovon es her ist, nimmts auch wieder.

Der Verfasser gedenkt dem Publikum eine ganze Sammlung von dergleichen Blättern vorzulegen, und dieses soll irgend eine Probe sein davon.“

Schon wie Hölderlin den Text einführt, lässt aufscheinen: Lieber Hörer, der du auch ein Leser sein kannst, hier werden Dinge gesagt werden müssen – „ich kann nicht anders“ – die nur „gutmütig“ aufgenommen werden können, vorurteilsfrei, offen für das Gesagte, in gewissem Sinne ohne jeglichen hemmenden Widerstand des Hörenden, mit Wohlwollen, vielleicht auch mit gutem Mut, mit einem Mut den es braucht, dies zu sagen wie dies für wahr zu nehmen, was gesagt wird.

„Der himmlischen, still widerklingenden,

Der ruhigwandelnden Töne voll,

Und gelüftet ist der altgebaute,

Seliggewohnte Saal; um grüne Teppiche duftet

Die Freudenwolk und weithinglänzend stehn,

Gereiftester Früchte voll und goldbekränzter Kelche,

Wohlangeordnet, eine prächtige Reihe,

Zur Seite da und dort aufsteigend über dem

Geebneten Boden die Tische.

Denn ferne kommend haben

Hieher, zur Abendstunde,

Sich liebende Gäste beschieden.“

Die Eingangssituation ist von ruhiger, schöpferischer Fülle gekennzeichnet, alles glänzt in ruhiger Ordnung den Ankömmlingen, den „liebenden Gästen“ entgegen. Ein wenig irritiert lauscht man nocheinmal nach: nicht „liebe Gäste“, nein: „liebende Gäste“. Sind es sich liebende Gäste, sind es liebende Gäste, oder doch liebe Gäste, es changiert eigenartig und bestimmt die Gemeinten als in jedem Falle hochgestimmte, der Liebesfülle Gewahrseiende. Sie kommen zur Abendstunde. Zur Abendstunde des Gestirnes, so lese ich es im naturphilosophischen Kontext, feiern das Erreichte, feiernd wohl auf einem ganz anderen Niveau des Lebens, wenn man die Situation im Innern mit den nur zu gewohnten Nachrichten ‚aus aller Welt‘ in Vergleich zu bringen versucht.

Ach, der „altgebaute, seliggewohnte Saal“, die irdische Atmosphäre, der Lebensraum von Weltseele durchflutet, sie selbst erinnernd. Der Ort des Menschen. Hier. Auf der Erde. Dies ist unser Saal, in dem alles verhandelt wird, was uns angeht – und den betreten nun bald jene Gäste, jene besonderen Gäste, die  – so scheint es – von allem und allen erwartet werden ?

Es ist ein Zeitpunkt nach hoher Ernte, denn die Kelche sind gefüllt und die Früchte liegen in großer Fülle auf den Tafeln, die auch als Tafelberge vor flacher Landschaft, geebnet-geordneter, vielleicht – ganz sicher – bewirtschafteter Landschaft vorstellbar sind. Hatte Hölderlin die Alpen vor Augen für diese Szene ?

Und dämmernden Auges denk ich schon,

Vom ernsten Tagwerk lächelnd,

Ihn selbst zu sehn, den Fürsten des Fests.

Doch wenn du schon dein Ausland gern verleugnest,

Und als vom langen Heldenzuge müd,

Dein Auge senkst, vergessen, leichtbeschattet,

Und Freundesgestalt annimmst, du Allbekannter, doch

Beugt fast die Knie das Hohe. Nichts vor dir,

Nur Eines weiß ich, Sterbliches bist du nicht.

Ein Weiser mag mir manches erhellen; wo aber

Ein Gott noch auch erscheint,

Da ist doch andere Klarheit.

Der Fürst des Festes wird wohl auch zugegen sein. Assoziationen wallen sofort heran: ist es eine messiasähnliche Gestalt, eine übermenschliche Gestalt, ein Gott gar, der hier angekündigt wird als Leitfigur ? Denn die letzten Zeilen sind zwar nicht unmittelbar auf den Fürsten des Festes bezogen, aber die mittelbaren Hinführungen lassen kaum einen andern Schluss zu: der Fürst des Festes muss ein Gott sein. Anders gesagt: ein Göttlicher Mensch, einer, der selbst den Weisenstatus schon überschritten hat. Ein Nich-(mehr-)Sterblicher, entfernt vom Menschsein wie das Tier vom Menschen, hält echte Ehrfurcht in Atem.

Beim Ausland, das jener verleugnen soll, kann nun vieles mitschwingen, und auch der Heldenzug, der lange, käme für nicht-irdische Herkunft des Gemeinten, für ein Wandeln von Gestirn zu Gestirn, wie für ein Wandern durch die Verkörperungen in je großartiger Funktion,  in Frage.

Allbekannt kommt da einer auf uns zu, nur zu bekannt, nur jedem zu bekannt und bringend eine ganz andere Art geistiger Kraft mit sich, die durchdringend und überformend allem überlegen ist, was wir Wissen und Erkennen nennen im Staub unserer Alltage.

Von heute aber nicht, nicht unverkündet ist er;

Und einer, der nicht Flut noch Flamme gescheuet,

Erstaunet, da es stille worden, umsonst nicht, jetzt,

Da Herrschaft nirgend ist zu sehn bei Geistern und Menschen.

Das ist, sie hören das Werk,

Längst vorbereitend, von Morgen nach Abend, jetzt erst,

Denn unermeßlich braust, in der Tiefe verhallend,

Des Donnerers Echo, das tausendjährige Wetter,

Zu schlafen, übertönt von Friedenslauten, hinunter.

Ihr aber, teuergewordne, o ihr Tage der Unschuld,

Ihr bringt auch heute das Fest, ihr Lieben! und es blüht

Rings abendlich der Geist in dieser Stille;

Und raten muß ich, und wäre silbergrau

Die Locke, o ihr Freunde!

Für Kränze zu sorgen und Mahl, jetzt ewigen Jünglingen ähnlich.

 

Und manchen möcht ich laden, aber o du,Der freundlichernst den Menschen zugetan,

Dort unter syrischer Palme,

Wo nahe lag die Stadt, am Brunnen gerne war;

Das Kornfeld rauschte rings, still atmete die Kühlung

Vom Schatten des geweiheten Gebirges,

Und die lieben Freunde, das treue Gewölk,

Umschatteten dich auch, damit der heiligkühne

Durch Wildnis mild dein Strahl zu Menschen kam, o Jüngling!

Ach! aber dunkler umschattete, mitten im Wort, dich

Furchtbarentscheidend ein tödlich Verhängnis. So ist schnell

Vergänglich alles Himmlische; aber umsonst nicht;

 

Denn schonend rührt des Maßes allzeit kundig

Nur einen Augenblick die Wohnungen der Menschen

Ein Gott an, unversehn, und keiner weiß es, wenn?

Auch darf alsdann das Freche drüber gehn,

Und kommen muß zum heilgen Ort das Wilde

Von Enden fern, übt rauhbetastend den Wahn,

Und trifft daran ein Schicksal, aber Dank,

Nie folgt der gleich hernach dem gottgegebnen Geschenke;

Tiefprüfend ist es zu fassen.

Auch wär uns, sparte der Gebende nicht,

Schon längst vom Segen des Herds

Uns Gipfel und Boden entzündet.

„Denn schonend rührt des Maßes allzeit kundig“ – das erscheint als eine Beschreibung des sinnvollen Verkehrs von Menschen und Göttern, von der Vorsicht, die die geistigen Welt walten lassen muss, um Menschen nicht zu überfordern und um ihre Entscheidungsfreiheit nicht einzuschränken. Die weiteren Zeilen betreffen die Reaktionsweisen auf die ‚göttlichen Impulse‘. –

Des Göttlichen aber empfingen wir

Doch viel. Es ward die Flamm uns

In die Hände gegeben, und Ufer und Meersflut.

Viel mehr, denn menschlicher Weise

Sind jene mit uns, die fremden Kräfte, vertrauet.

Und es lehret Gestirn dich, das

Vor Augen dir ist, doch nimmer kannst du ihm gleichen.

Vom Allebendigen aber, von dem

Viel Freuden sind und Gesänge,

Ist einer ein Sohn, ein Ruhigmächtiger ist er,

Und nun erkennen wir ihn,

Nun, da wir kennen den Vater

Und Feiertage zu halten

Der hohe, der Geist

Der Welt sich zu Menschen geneigt hat.

 

Denn längst war der zum Herrn der Zeit zu groß

Und weit aus reichte sein Feld, wann hats ihn aber erschöpfet?

Einmal mag aber ein Gott auch Tagewerk erwählen,

Gleich Sterblichen und teilen alles Schicksal.

Schicksalgesetz ist dies, daß Alle sich erfahren,

Daß, wenn die Stille kehrt, auch eine Sprache sei.

Wo aber wirkt der Geist, sind wir auch mit, und streiten,

Was wohl das Beste sei. So dünkt mir jetzt das Beste,

Wenn nun vollendet sein Bild und fertig ist der Meister,

Und selbst verklärt davon aus seiner Werkstatt tritt,

Der stille Gott der Zeit und nur der Liebe Gesetz,

Das schönausgleichende gilt von hier an bis zum Himmel.

Einmal mag aber ein Gott auch Tagewerk wählen. – Das kann sich im Grunde nur auf den Avatar-Mythos beziehen, auf die freiwillige Verkörperung eigentlich vollendeter Menschen, Buddhas, die ‚das Rad der Wiedergeburt‘ hinter sich gelassen haben.

Viel hat von Morgen an,

Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander,

Erfahren der Mensch; bald sind wir aber Gesang.

Und das Zeitbild, das der große Geist entfaltet,

Ein Zeichen liegts vor uns, daß zwischen ihm und andern

Ein Bündnis zwischen ihm und andern Mächten ist.

Nicht er allein, die Unerzeugten, Ewgen

Sind kennbar alle daran, gleichwie auch an den Pflanzen

Die Mutter Erde sich und Licht und Luft sich kennet.

Zuletzt ist aber doch, ihr heiligen Mächte, für euch

Seit ein Gespräch wir sind… – man kann es so lesen: seit wir – als Menschen mit Sprache bemächtigt – dem Tierreich entwachsen sind, der Sphäre des Menschseins angehörend – bis eines Tages auch das Menschsein überschritten wird durch die, die sich des ‚Gesanges‘ befleissigen, also sich dem Weltenklang angleichen, um in ihn einstimmen zu können und man sieht förmlich ‚die klingenden himmlischen Heerschaaren‘ vor sich.

Das Liebeszeichen, das Zeugnis

Daß ihr noch seiet, der Festtag,

Der Allversammelnde, wo Himmlische nicht

Im Wunder offenbar, noch ungesehn im Wetter,

Wo aber bei Gesang gastfreundlich untereinander

In Chören gegenwärtig, eine heilige Zahl

Die Seligen in jeglicher Weise

Beisammen sind, und ihr Geliebtestes auch,

An dem sie hängen, nicht fehlt; denn darum rief ich

Zum Gastmahl, das bereitet ist,

Dich, Unvergeßlicher, dich, zum Abend der Zeit,

O Jüngling, dich zum Fürsten des Festes; und eher legt

Sich schlafen unser Geschlecht nicht,

Bis ihr Verheißenen all,

All ihr Unsterblichen, uns

Von eurem Himmel zu sagen,

Da seid in unserem Hause.

Die letzten Zeilen dieser Strophe greifen noch einmal das Avatarthema auf und deuten auf einen Zeitpunkt hin, da sie unmittelbar, also in der Physis, tätig sind und der Menschheit direkt helfen und sie leiten.

Leichtatmende Lüfte

Verkünden euch schon,

Euch kündet das rauchende Tal

Und der Boden, der vom Wetter noch dröhnet,

Doch Hoffnung rötet die Wangen,

Und vor der Türe des Hauses

Sitzt Mutter und Kind,

Und schauet den Frieden

Und wenige scheinen zu sterben,

Es hält ein Ahnen die Seele,

Vom goldnen Lichte gesendet,

Hält ein Versprechen die Ältesten auf.

Wohl sind die Würze des Lebens,

Von oben bereitet und auch

Hinausgeführet, die Mühen.

Denn Alles gefällt jetzt,

Einfältiges aber

Am meisten, denn die langgesuchte,

Die goldne Frucht,

Uraltem Stamm

In schütternden Stürmen entfallen,

Dann aber, als liebstes Gut, vom heiligen Schicksal selbst,

Mit zärtlichen Waffen umschützt,

Die Gestalt der Himmlischen ist es.

Die ‚goldne Frucht‘ assoziiere ich mit der Gestalt des ‚Messias‘, mit dem Wesen, das als Leitfigur vom ‚heiligen Schicksal‘ seine Aufgabe erfüllt. Das Uralte dieses Wesens wird bedeutet.

Wie die Löwin, hast du geklagt,

O Mutter, da du sie,

Natur, die Kinder verloren.

Denn es stahl sie, Allzuliebende, dir

Dein Feind, da du ihn fast

Wie die eigenen Söhne genommen,

Und Satyren die Götter gesellt hast.

So hast du manches gebaut,

Und manches begraben,

Denn es haßt dich, was

Du, vor der Zeit

Allkräftige, zum Lichte gezogen.

Nun kennest, nun lässest du dies;

Denn gerne fühllos ruht,

Bis daß es reift, furchtsamgeschäftiges drunten.

Die letzte Strophe geht nocheinmal auf die Grundsituation des lebendigen Gestirnes eine, auf die Notwendigkeit des langen Reifens des Seelischen in den Naturreichen, bis es eines Tages als Mensch in der Bewährung steht. Im Grunde ist hier die tiefste Wahrheit der Mensch-Erde-Beziehung beschrieben, die man nur in einer ’spirituellen Ökologie‘ fassen kann.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Stuttgart 1953.
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