Lama Anagarika Govinda „Weit über mich hinaus“

Lama Anagarika Govinda: Weit über mich selbst hinaus. Gespräche über Tantra und
Meditation. Hrsg. Birgit Zotz, 228 Seiten, Gräfing 2017, ISBN 978-3-89427-767-3, 19,95 €

Rezension von Benedikt Maria Trappen, Augsburg 2018

Wie lebendiger Buddhismus im 21. Jahrhundert gelebt werden kann

Lama Anagarika Govinda: Weit über mich selbst hinaus
Wie Buddhismus im 21. Jahrhundert im Westen gelebt werden kann
Die in dem von Birgit Zotz herausgegebenen und eingeleiteten Buch versammelten Vorträge
und Gespräche, die weitgehend den inzwischen vergriffenen Ausgaben von „Das Buch der
Gespräche“ (1998) und „Leben im Geiste des Buddhismus“ (2006) entnommen sind, wurden
für diese Neuausgabe anhand der im Archiv der Lama und Li Gotami Govinda-Stiftung
aufbewahrten originalen Aufzeichnungen überarbeitet, korrigiert und ergänzt, um dem
interessierten Leser einen möglichst authentischen Eindruck des gesprochenen Wortes zu
vermitteln. Wesentliche Daten und Ereignisse der Biografie führen den Leser kundig in das
Leben und Werk dieses ungewöhnlichen Deutsch-Bolivianischen Wahl-Buddhisten ein, der
als einer der großen spirituellen Wegweiser und Brückenbauer zwischen Ost und West gilt.
Dass Ernst Lothar Hoffmann, wie der bürgerliche Name des späteren Gründers des Ordens
Arya Maitreya Mandala lautet, die abendländische Literatur und Philosophie ebenso kannte
und schätzte wie die indische und tibetische Kultur, prädestiniert den Archäologen, Maler,
Literaten, Übersetzer, Religionswissenschaftler und Bewusstseinsforscher geradezu für diese
Rolle. Eine besondere Affinität verband ihn zudem mit der Romantik, die, folgt man
Philosophen wie Martin Heidegger, José Sánchez de Murillo und Jochen Kirchhoff, der
technisch-wissenschaftlichen Welt immer noch zukünftig ist.
Eine weitere bedeutsame Schnittstelle stellt das Werk C.G. Jungs dar, dessen
Archetypenlehre auf Dispositionen des
Erlebens hinweist, auf das es letztlich allein
ankommt. Worte und Bilder können immer nur Wegweiser und Symbole sein für etwas, das
alles Fassungsvermögen übersteigt und sich einzig im gelebten Leben offenbart und zeigt.
Der angemessene Ort für diese Verwirklichung ist daher der Alltag, nicht die Klausur, dessen
Herausforderungen und Mühen den Weg ausmachen. Govinda positioniert sich mit dieser
klaren Formulierung deutlich gegenüber einer Fülle mehr oder weniger „esoterischer“
Richtungen, die sich verstärkt seit der Mitte des 20. Jahrhunderts in Amerika und Europa
„untergründig“ entwickelt haben. Selbstverantwortung, Selbstdisziplin, Selbstgestaltung
stehen für ihn an erster Stelle, nicht weltferne Frömmigkeit, Heiligkeit und Unterwerfung
unter Dogmen und Führer.
Das Fundament dieser klaren Positionierung findet Govinda ebenso im Leben und Tun
Buddhas und den damit verbundenen erkenntnistheoretischen Einsichten wie in den
philosophischen und künstlerischen Werken des deutschen Idealismus und der Romantik.
Unendlichkeit zeigt sich im Endlichen, das Universelle im Einzelnen. Das immer erneute
Überschreiten von Grenzen, Transzendieren, öffnet, weitet das Bewusstsein. Die sich in
immer erneuten Windungen nach oben schraubende, weitende Spirale ist daher für ihn das
wesentliche Bild der lebenslangen Entwicklung, Wandlung, Transformation. Leben geht
hervor und spielt sich ab zwischen Polen. „Ewigkeit“ stellt daher keinen Gegensatz zur„Zeit“
dar, sondern bezeichnet eine besondere Erlebnisqualität derselben. „Unsterblichkeit“ meint
nicht „unbegrenzte Dauer“, sondern eine ausgezeichnete, hier und jetzt zu verwirklichende
Qualität des Seins. Worum es letztlich geht, ist die Menschwerdung des Menschen, der
seinen Egozentrismus relativiert und überwindet, offener wird und in Mitfreude und
Mitgefühl der Welt und den anderen verbunden ist. In dieser Aufgabe, nicht in Formeln und
Dogmen, nicht in Kulten und Ritualen, erblickt und begreift Govinda das Wesen aller
Religion. Was zählt ist daher einzig das gelebte Leben, wobei der Richtung, den Intentionen,
der Gesinnung mehr Bedeutung zukommt als den Taten und den oft unbeabsichtigten und
unabsehbaren Folgen. Das Ganze des Welt-Spiels und seiner Harmonie bleibt uns verborgen.

Wir sehen und verstehen immer nur Ausschnitte, Perspektiven, mal mehr, mal weniger tief
und weit erhellte Lichtungen eines unendlich verwobenen Bedingungsgefüges. Diese
Erkenntnis macht bescheiden und demütig. Erleuchtung bläht nicht auf, sondern macht
bescheiden angesichts der Fülle des Nichtwissens und des Mangels an Sein. Auch den Streit
der Schulen und Religionen, der immer nur ein Streit über Worte ist, lässt Govinda damit
gelassen hinter sich. Das Unsagbare ist unsagbar. ES kann als Tragendes und
Durchdringendes, als Belebendes, Inspirierendes, Kreatives nur erfahren und erlebt werden
und zeigt sich in seinen Früchten, dem lebendigen Fortgang. Dasselbe offenbart sich in allen
Entwicklungen, aber immer wieder anders, neu.
Govindas Impulse, die aus diesen Vorträgen und Gesprächen immer noch machtvoll wirken,
können das Gespräch zwischen Ost und West auch heute noch bereichern und klären und
dem aufrichtig Suchenden Kompass und Leuchte sein.
Ein ausführliches Register und ein verständliches Glossar erleichtern dem Anfänger wie dem
Fortgeschrittenen die Aneignung und Vertiefung dieses wertvollen Erbes.

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Kommentar Uli Fischer

Lama Anagarika Govinda ist ganz sicher eine herausragende Figur des buddhistsichen Lebens der Neuzeit und über die buddhistischen Zirkel hinaus wirksam und wahrgenommen worden.

Die Bemerkungen Benedikt Maria Trappens zu den Themen „Ewigkeit“, „Unsterblichkeit“ und „Verborgenheit des Ganzen des Welt-Spieles“ – wenn sie in diesem Zuschnitt denn vollständig zutreffen auf die Positionen Govindas – sind aus meiner Sicht Ausdruck einer gewissen Begrenzung, die dem ‚buddhistischen Ansatz‘ (eine sicher schwierige aber legitime Verallgemeinerung) oft anhaftet, weil der Fokus natürlich auf der ‚Befreiung vom Daseinskreislauf‘ liegt.

Wir sehen bei europäischen Denkern wie Schelling, Novalis, Krause und Kirchhoff wichtige, mehr als nur ergänzende Perspektiven, die einen – demütigen – Blick auf das Ganze sehr wohl erlauben und auch fordern und auch die Frage nach dem Verhältnis von Zeit, Überzeit (im Kirchhoffschen Sinne) und Ewigkeit sinnvoll stellen und (im Rahmen des haltbar Aussagbaren) auch beantworten.

Auch zur Annahme einer möglichen „Unsterblichkeit“ gehen u.a. von diesen Denkern Impulse und zum Teil klare Perspektiven aus, denen ich zuneige.